Liebe Freunde,
frei nach Wilhelm Busch trifft auch diese Weisheit auf unseren Verein
Pro Romania und unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren
Freunden von Alcar zu.
Der zehnte Jahrestag der Revolution im Dezember 99, acht Jahre Pro Romania,
fünf Jahre Alcar und immer noch kein Ende in Sicht. Wer hätte das gedacht am
Anfang in der Gründerzeit nach langen und schlimmen Geburtswehen, nach
schwierigen und schmerzhaften Selbstfindungsprozessen, sowohl auf Seiten von
Pro Romania als auch auf Seiten von Alcar. Und doch, wir leben noch, und -
wie ich glaube - heute bewusster, reifer und erfahrener denn je.
Bleibt auch der Kreis derer, die die Last der Arbeit und der Verantwortung
auf ihren Schultern tragen, recht klein, so denke ich doch, dass die
Tragkraft heute größer ist und nicht nur die Tragkraft, sondern auch die
dauerhafte Belastbarkeit.
Hoch erfreut und zugleich motiviert für die Zukunft stimmt mich diese
Tatsache, gibt sie mir doch die Gewissheit, dass Mitstreiter da sind, die
keine Mühen und Anstrengungen scheuen, auch auf die Gefahr hin, in die Ecke
der "Spinner" gestellt zu werden. Denn wer kennt nicht die Haltung und das
Verhalten der "Biedermänner", die all zu oft in ihrer vom Wohlstand
geprägten Gleichgültigkeit und in ihrem Schwimmen in wohlgeglättetem und
ruhigem Fahrwasser ihre verächtlichen Blicke und Bemerkungen gegenüber den
"Wellenmachern" loslassen. Kein Wunder, schlagen ihnen doch die Wellen ins
Gesicht, Seegang, der sie ja in Gefahr bringen könnte, etwas zu tun, sich zu
bewegen und sich der Wahrheit und der Wirklichkeit in unserer Welt zu
stellen. Aber schon bei Max Frisch wird deutlich, dass die "Brandstifter"
eben diese "Biedermänner" selbst sind, die sehend und wissend eben nichts
tun, um Dinge zu verändern, und somit ihrem Schicksal letztendlich machtlos
ausgeliefert sind.
Pro Romania ist ein Verein mit hohem Anspruch und mit messbarem Erfolg.
Ich brauche mir nur die Chronologie seit Beginn unserer Arbeit im Februar
92 anzuschauen, eine Leistung, die nicht für jedermann, vor allen Dingen
nicht für "Biedermann" nachzuvollziehen ist. Dies provoziert; und
Provokation zwingt zum Nachdenken. Und dies ist eben schwer für Leute, die
nicht nachdenken wollen oder auch nicht können. Allemal ist es dann
leichter, diese "Außenseiter" als Spinner und Träumer von oben herab zu
belächeln.
Gehen wir weiter auf unserem Weg, einträchtig und zielstrebig.
Meinungsverschiedenheiten und Streitgespräche müssen sein, sie sind
hilfreich und helfen, Scheuklappen zu beseitigen. Aber wir haben ein
gemeinsames Ziel, und um dies zu erreichen, dürfen Streitgespräche nicht in
Streit und Meinungsverschiedenheiten nicht in Zwiespalt ausarten. Achten wir
darauf, dass trotz hie und da unterschiedlicher Auffassung dies niemals
passiert, denn dies wäre das Ende, ein schmähliches Ende, das die gute Sache
niemals verdient hätte.
Dank also all denen, die mutig und optimistisch in die Zukunft sehen
und bereit sind, den dornigen Weg zu gehen. Leute mit Ausdauer und
Belastbarkeit sind gefragt, keine Eintagsfliegen, die Stürme im Wasserglas
verursachen.
Zehn Jahre nach der Revolution, was hat sich verändert in Rumänien?
Auf den ersten Blick nicht viel. Und doch mehr als in den letzten 40 Jahren
zusammen. Die Menschen sind frei, sie können sich informieren, austauschen.
Die Pressevielfalt in Rumänien ist so groß, wie kaum sonst wo, Westfernsehen
fast überall. Der Informationsbedarf ist nach 40 Jahren Isolierung so enorm,
dass er auf lange Sicht noch nicht gesättigt sein wird. Es findet
"Horizonterweiterung" statt, überall, auch in den Reihen von Alcar, und dort
ganz besonders, nicht zuletzt dadurch bedingt, dass nun auch Alcar nach fünf
Jahren langsam aus den Kinderschuhen herauswächst und eingeschult wird.
Einsicht ist vorhanden. Man hat erkannt, dass man etwas tun muss, dass man
mit in der Verantwortung ist, um die ehrgeizigen Ziele, die sich die beiden
Vereine Pro Romania und Alcar gesetzt haben, zu erreichen.
Man hat aber auch die Chancen gesehen, die sich für viele dadurch ergeben.
Ich denke an die Arbeitsplätze und an die Gastfamilien beim
"Touristikprojekt" im Oktober. Ich habe das Gefühl, dass die Zeiten vorbei
sind, in denen die Leute von Alcar und die Einwohner aus Alios sich nur in
der bequemen Rolle des Almosenempfängers sahen. Heute zeigt man Engagement;
das Prinzip wurde verstanden.
Hierfür brauchte es Zeit, aber ich bin sicher, dass diese Zeit jetzt da ist
und dies nicht zuletzt auch dadurch, dass die Richtungskämpfe innerhalb von
Alcar entschieden sind. Einige kleinere Störungsmanöver sind von Zeit zu
Zeit noch zu beobachten, sie stellen aber keine wirkliche Gefahr mehr dar.
Acht Jahre hat's gebraucht, bis wirklich eine gemeinsame starke Basis
vorhanden war, auf der man nun zielstrebig und geradlinig gemeinsam aufbauen
kann.
Dies sehe ich als den größten Erfolg unserer bisherigen Arbeit an.
"Veränderungen zum Positiven beginnen immer in den Köpfen der Menschen".
Dies haben wir gemeinsam erreicht, und darauf bin ich stolz.
Stricken, so wie wir sie brauchen, können wir uns die Menschen nicht.
Gott sei Dank ist das so, denn jeder hat seine eigene Persönlichkeit und
Lebensauffassung, seine eigene Identität, die er nicht aufgeben darf, auch
nicht um der gemeinsamen Sache wegen. Dieser Preis wäre zu hoch.
Denken wir immer daran bei unseren zukünftigen Projekten zusammen mit
unseren Freunden von Alcar und achten wir darauf, dass wir den Leuten nicht
zu nahe treten.
Euer Werner
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