Pro Romania e.V.
Rundbrief im Juli 1999

"Eins, zwei, drei im Sauseschritt, die Zeit sie läuft, wir laufen mit."

Autor: Werner Becker

Liebe Freunde, 

     frei nach Wilhelm Busch trifft auch diese Weisheit auf unseren Verein Pro Romania und unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Freunden von Alcar zu.
 Der zehnte Jahrestag der Revolution im Dezember 99, acht Jahre Pro Romania, fünf Jahre Alcar und immer noch kein Ende in Sicht. Wer hätte das gedacht am Anfang in der Gründerzeit nach langen und schlimmen Geburtswehen, nach schwierigen und schmerzhaften Selbstfindungsprozessen, sowohl auf Seiten von Pro Romania als auch auf Seiten von Alcar. Und doch, wir leben noch, und - wie ich glaube - heute bewusster, reifer und erfahrener denn je.
 Bleibt auch der Kreis derer, die die Last der Arbeit und der Verantwortung auf ihren Schultern tragen, recht klein, so denke ich doch, dass die Tragkraft heute größer ist und nicht nur die Tragkraft, sondern auch die dauerhafte Belastbarkeit.
 Hoch erfreut und zugleich motiviert für die Zukunft stimmt mich diese Tatsache, gibt sie mir doch die Gewissheit, dass Mitstreiter da sind, die keine Mühen und Anstrengungen scheuen, auch auf die Gefahr hin, in die Ecke der "Spinner" gestellt zu werden. Denn wer kennt nicht die Haltung und das Verhalten der "Biedermänner", die all zu oft in ihrer vom Wohlstand geprägten Gleichgültigkeit und in ihrem Schwimmen in wohlgeglättetem und ruhigem Fahrwasser ihre verächtlichen Blicke und Bemerkungen gegenüber den "Wellenmachern" loslassen. Kein Wunder, schlagen ihnen doch die Wellen ins Gesicht, Seegang, der sie ja in Gefahr bringen könnte, etwas zu tun, sich zu bewegen und sich der Wahrheit und der Wirklichkeit in unserer Welt zu stellen. Aber schon bei Max Frisch wird deutlich, dass die "Brandstifter" eben diese "Biedermänner" selbst sind, die sehend und wissend eben nichts tun, um Dinge zu verändern, und somit ihrem Schicksal letztendlich machtlos ausgeliefert sind.
 
     Pro Romania ist ein Verein mit hohem Anspruch und mit messbarem Erfolg.
Ich brauche mir nur die Chronologie seit Beginn unserer Arbeit im Februar 92 anzuschauen, eine Leistung, die nicht für jedermann, vor allen Dingen nicht für "Biedermann" nachzuvollziehen ist. Dies provoziert; und Provokation zwingt zum Nachdenken. Und dies ist eben schwer für Leute, die nicht nachdenken wollen oder auch nicht können. Allemal ist es dann leichter, diese "Außenseiter" als Spinner und Träumer von oben herab zu belächeln.
 
     Gehen wir weiter auf unserem Weg, einträchtig und zielstrebig. Meinungsverschiedenheiten und Streitgespräche müssen sein, sie sind hilfreich und helfen, Scheuklappen zu beseitigen. Aber wir haben ein gemeinsames Ziel, und um dies zu erreichen, dürfen Streitgespräche nicht in Streit und Meinungsverschiedenheiten nicht in Zwiespalt ausarten. Achten wir darauf, dass trotz hie und da unterschiedlicher Auffassung dies niemals passiert, denn dies wäre das Ende, ein schmähliches Ende, das die gute Sache niemals verdient hätte.
 
     Dank also all denen, die mutig und optimistisch in die Zukunft sehen und bereit sind, den dornigen Weg zu gehen. Leute mit Ausdauer und Belastbarkeit sind gefragt, keine Eintagsfliegen, die Stürme im Wasserglas verursachen.
 
 
     Zehn Jahre nach der Revolution, was hat sich verändert in Rumänien?
Auf den ersten Blick nicht viel. Und doch mehr als in den letzten 40 Jahren zusammen. Die Menschen sind frei, sie können sich informieren, austauschen. Die Pressevielfalt in Rumänien ist so groß, wie kaum sonst wo, Westfernsehen fast überall. Der Informationsbedarf ist nach 40 Jahren Isolierung so enorm, dass er auf lange Sicht noch nicht gesättigt sein wird. Es findet "Horizonterweiterung" statt, überall, auch in den Reihen von Alcar, und dort ganz besonders, nicht zuletzt dadurch bedingt, dass nun auch Alcar nach fünf Jahren langsam aus den Kinderschuhen herauswächst und eingeschult wird.
 Einsicht ist vorhanden. Man hat erkannt, dass man etwas tun muss, dass man mit in der Verantwortung ist, um die ehrgeizigen Ziele, die sich die beiden Vereine Pro Romania und Alcar gesetzt haben, zu erreichen.
 Man hat aber auch die Chancen gesehen, die sich für viele dadurch ergeben. Ich denke an die Arbeitsplätze und an die Gastfamilien beim "Touristikprojekt" im Oktober. Ich habe das Gefühl, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Leute von Alcar und die Einwohner aus Alios sich nur in der bequemen Rolle des Almosenempfängers sahen. Heute zeigt man Engagement; das Prinzip wurde verstanden.
 Hierfür brauchte es Zeit, aber ich bin sicher, dass diese Zeit jetzt da ist und dies nicht zuletzt auch dadurch, dass die Richtungskämpfe innerhalb von Alcar entschieden sind. Einige kleinere Störungsmanöver sind von Zeit zu Zeit noch zu beobachten, sie stellen aber keine wirkliche Gefahr mehr dar.
 Acht Jahre hat's gebraucht, bis wirklich eine gemeinsame starke Basis vorhanden war, auf der man nun zielstrebig und geradlinig gemeinsam aufbauen kann.
 
     Dies sehe ich als den größten Erfolg unserer bisherigen Arbeit an. "Veränderungen zum Positiven beginnen immer in den Köpfen der Menschen". Dies haben wir gemeinsam erreicht, und darauf bin ich stolz.
 
     Stricken, so wie wir sie brauchen, können wir uns die Menschen nicht. Gott sei Dank ist das so, denn jeder hat seine eigene Persönlichkeit und Lebensauffassung, seine eigene Identität, die er nicht aufgeben darf, auch nicht um der gemeinsamen Sache wegen. Dieser Preis wäre zu hoch.
 Denken wir immer daran bei unseren zukünftigen Projekten zusammen mit unseren Freunden von Alcar und achten wir darauf, dass wir den Leuten nicht zu nahe treten.
 
 Euer Werner


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