Pro Romania e.V.
Rundbrief im Juli 2012

Gedanken zum 20 jährigen Vereinsjubiläum von Pro Romania e.V.

Autor: Werner Becker

Nicht umsonst heißt es: „Alles hat seine Zeit“. Für uns begann sie im Jahr 1992.

Die dramatischen Veränderungsprozesse im bis zum Jahr 1989 gespaltenen Europa brachten sie zu Tage. Die tief erschütternden, herzzerreißenden Bilder und Berichte von den geschundenen, von der politischen Nomenklatura vergewaltigten und entrechteten Bevölkerung in dem osteuropäischen Land Rumänien waren plötzlich all überall in den Medien präsent. Die Wohlstandbürger im Westen bekamen sie quasi zum Abendbrot serviert, und manch einem ist der Appetit gründlich vergangen.

Es war die Zeit der spontanen „Solidarität“, die Zeit des Mitgefühls für die armen unterdrückten Menschen, vor allem für die Kinder, ja sogar für die Zigeunerkinder, die bei einigen ein „Wachrütteln“ verursachte und ungeahnte Kräfte mobilisierte.
Es war die Zeit des „ajutor“, die Zeit der nicht enden wollenden Hilfstransportkonvois, der kilometerlangen Staus an den Grenzübergängen, der tagelangen Wartemarathons und der endlosen Verhandlungen mit den bis an die Zähne bewaffneten Grenzern über ein für uns akzeptables „Eintrittsgeld“.
Es war die Zeit der unkoordinierten Verteilaktionen auf den rumänischen Dörfern, bei denen die Menschen zeitweise bis zur Ohnmacht in den Warteschlangen standen, um irgendetwas zu bekommen, was sie dann letztlich vielleicht gar nicht gebrauchen konnten.
Es war die Zeit der Sammelaktionen, bei denen manch ein „großherziger „ Spender auch seinen Sondermüll loswerden konnte und sich dabei fühlte, wie jemand, der zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat.
Es war die Zeit der modernen „Robin Hoods“, die Hüte trugen und viel Zeit opferten um zu helfen. Für viele war es die Abenteuerzeit, die Zeit der Flucht aus dem langweiligen Alltag und das gute Gefühl, etwas Gutes zu tun.

Sie war nicht nur gut, die Zeit, aber sie war der Grundstein für das, was dann kam.

Dann setzte das Nachdenken ein, Erfahrungen wurden ausgewertet. Manches wurde hinterfragt. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungswerte der Menschen hüben und drüben wurden evident; die verschiedenen Lebenserfahrungen prallten geradezu aufeinander, und für manche hüben war jetzt Schluss mit lustig. Alte Vorurteile, die in der Euphorie der „ersten Phase“ überlagert wurden vom edlen Gefühl des „Gutmenschen“, gewannen wieder die Oberhand und versperrten den Blick für die tief sitzenden Probleme bei den Menschen in Rumänien, die gerade die Phase der „geistigen Befreiung“ und die damit verbundene „Erneuerung“ der Werte für Freiheit, Demokratie und Verantwortung durchlebten, die sie bis dato nur, wenn überhaupt, vom Hörensagen kannten. Was bei uns 23 Jahre brauchte und mit der 68iger Bewegung mühsam und nur teilweise gelang und mit einer tiefen Spaltung und erheblichen Unruhen im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland einherging, sollte in Rumänien hopplahopp gelingen.
Altbekannte Denkmuster rückten wieder in den Vordergrund, die „Mentalitätsfrage“ wurde diskutiert, ohne Ursachenforschung.

Diejenigen mit „Durchblick“ machten weiter und entwickelten die „Projektphase“.

Konzentration der Aktivitäten auf Menschen, bei denen die Chance besteht, diese auch persönlich kennen zu lernen, statt anonyme Aktionen mal hier mal da. Miteinbeziehen rumänischer Partner und Entwickeln von Projekten, die geeignet sind, Lebensbedingungen zu erleichtern und Bildung und Ausbildung zu ermöglichen..

Das Schlagwort der „gleichberechtigten Partnerschaft“ machte die Runde, durchzusetzen natürlich nur mit denen, die die Partner auch als gleichberechtigt ansahen.
Der Sozialverein „Alcar“ (Alios-Caritas) wurde gegründet.
Er besteht bis heute, und mit ihm werden die Projekte abgestimmt und umgesetzt, manchmal mehr und manchmal weniger erfolgreich, mit Höhen und Tiefen. In langen Diskussionen, manchmal auch in Streitgesprächen werden Wege beschritten, die nicht einfach nur von einer Seite vorgegeben, sondern erarbeitet werden und Arbeit auf beiden Seiten abverlangen. Selbstvertrauen wird gestärkt.
Der Prozess dauert an, er funktioniert gut, da der gegenseitige Respekt voreinander in den Vordergrund gestellt wurde; niemand will mehr den anderen „umkrempeln“ oder „auf Linie bringen“.
Die Vernunft im Umgang miteinander hat eingesetzt. Schwer fällts manchmal in emotionsgeladenen Situationen, dem Rumänen und dem Deutschen!
Nicht jeder ist mitgegangen.

Aber es klappt und eröffnet ungeahnte Perspektiven. Vertrauen wird aufgebaut und gefestigt. Im Vertrauen entsteht Kreativität; die Verständigung wächst trotz Sprachbarrieren. Die Erfahrenen wissen, was die anderen denken und fühlen, wie sie „ticken“, und die Deutschen ticken ja manchmal besonders exakt, was bei den Rumänen nicht immer, aber immer öfter mit schmunzelndem Erstaunen zur Kenntnis genommen wird. Rollenwechsel! Das Unbehagen, sich dauernd in der Rolle des „Almosenempfängers“ zu sehen, weicht der Sympathie und dem Interesse für den anderen, in Rumänien jetzt schon in der zweiten Generation. Das Wort „ajutor“ kommt in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit nicht mehr vor.

Die „Prietenie“ rückt in den Vordergrund, erfasst die meisten der Übriggebliebenen; ein wesentlich stärkeres Fundament als der „Robin Hood-Gedanke“ und die „großzügige Bonbon-Verteilmentalität“.

Eine Basis entsteht für den Überbau, den hehren Gedanken der Völkerverständigung, das Interesse an dem Gegenüber, dem Land, den Leuten, den Gemeinsamkeiten, den Unterschieden; es entwickelt sich der Blick für die Vielfalt und die Vielfältigkeit des Potentials der Menschen, die in unterschiedlichen Systemen groß geworden sind und sich auf den spannenden Weg machen, den anderen zu „entdecken“, ohne ihn „verbessern“ zu wollen.

Die Neugierigen lade ich ein, mit Pro Romania auf diese Entdeckungstour zu gehen, die nächsten 20 Jahre bieten mit Sicherheit viel Interessantes und Erlebenswertes.

Ein Phänomen wird dabei bestimmt den neuen Entdeckern ins Auge springen:

In Rumänien sind die Mauern krumm gemauert, in Deutschland überaus exakt und gerade!!

Ansonsten überwiegen mittlerweile die Gemeinsamkeiten, zumindest die gemeinsamen Interessen und Wertvorstellungen. Und damit kann man doch leben, oder??

Feiern wir unser 20 jähriges Jubiläum in gebührender Form. Wir haben allen Grund dazu.

Euer Werner


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