Nicht umsonst heißt es: „Alles hat seine Zeit“. Für
uns begann sie im Jahr 1992.
Die dramatischen Veränderungsprozesse im bis zum Jahr 1989
gespaltenen Europa brachten sie zu Tage. Die tief erschütternden,
herzzerreißenden Bilder und Berichte von den geschundenen, von der
politischen Nomenklatura vergewaltigten und entrechteten Bevölkerung
in dem osteuropäischen Land Rumänien waren plötzlich all überall in
den Medien präsent. Die Wohlstandbürger im Westen bekamen sie quasi
zum Abendbrot serviert, und manch einem ist der Appetit gründlich
vergangen.
Es war die Zeit der spontanen „Solidarität“, die Zeit des
Mitgefühls für die armen unterdrückten Menschen, vor allem für die
Kinder, ja sogar für die Zigeunerkinder, die bei einigen ein
„Wachrütteln“ verursachte und ungeahnte Kräfte mobilisierte.
Es war die Zeit des „ajutor“, die Zeit der nicht enden wollenden
Hilfstransportkonvois, der kilometerlangen Staus an den
Grenzübergängen, der tagelangen Wartemarathons und der endlosen
Verhandlungen mit den bis an die Zähne bewaffneten Grenzern über ein
für uns akzeptables „Eintrittsgeld“.
Es war die Zeit der unkoordinierten Verteilaktionen auf den
rumänischen Dörfern, bei denen die Menschen zeitweise bis zur
Ohnmacht in den Warteschlangen standen, um irgendetwas zu bekommen,
was sie dann letztlich vielleicht gar nicht gebrauchen konnten.
Es war die Zeit der Sammelaktionen, bei denen manch ein
„großherziger „ Spender auch seinen Sondermüll loswerden konnte und
sich dabei fühlte, wie jemand, der zwei Fliegen mit einer Klappe
geschlagen hat.
Es war die Zeit der modernen „Robin Hoods“, die Hüte trugen und viel
Zeit opferten um zu helfen. Für viele war es die Abenteuerzeit, die
Zeit der Flucht aus dem langweiligen Alltag und das gute Gefühl,
etwas Gutes zu tun.
Sie war nicht nur gut, die Zeit, aber sie war der
Grundstein für das, was dann kam.
Dann setzte das Nachdenken ein, Erfahrungen wurden ausgewertet.
Manches wurde hinterfragt. Die unterschiedlichen Sichtweisen und
Erfahrungswerte der Menschen hüben und drüben wurden evident; die
verschiedenen Lebenserfahrungen prallten geradezu aufeinander, und
für manche hüben war jetzt Schluss mit lustig. Alte Vorurteile, die
in der Euphorie der „ersten Phase“ überlagert wurden vom edlen
Gefühl des „Gutmenschen“, gewannen wieder die Oberhand und
versperrten den Blick für die tief sitzenden Probleme bei den
Menschen in Rumänien, die gerade die Phase der „geistigen Befreiung“
und die damit verbundene „Erneuerung“ der Werte für Freiheit,
Demokratie und Verantwortung durchlebten, die sie bis dato nur, wenn
überhaupt, vom Hörensagen kannten. Was bei uns 23 Jahre brauchte und
mit der 68iger Bewegung mühsam und nur teilweise gelang und mit
einer tiefen Spaltung und erheblichen Unruhen im gesellschaftlichen
Gefüge der Bundesrepublik Deutschland einherging, sollte in Rumänien
hopplahopp gelingen.
Altbekannte Denkmuster rückten wieder in den Vordergrund, die
„Mentalitätsfrage“ wurde diskutiert, ohne Ursachenforschung.
Diejenigen mit „Durchblick“ machten weiter und entwickelten die „Projektphase“.
Konzentration der Aktivitäten auf Menschen, bei denen die Chance
besteht, diese auch persönlich kennen zu lernen, statt anonyme
Aktionen mal hier mal da. Miteinbeziehen rumänischer Partner und
Entwickeln von Projekten, die geeignet sind, Lebensbedingungen zu
erleichtern und Bildung und Ausbildung zu ermöglichen..
Das Schlagwort der „gleichberechtigten Partnerschaft“
machte die Runde, durchzusetzen natürlich nur mit denen, die die
Partner auch als gleichberechtigt ansahen.
Der Sozialverein „Alcar“ (Alios-Caritas) wurde gegründet.
Er besteht bis heute, und mit ihm werden die Projekte abgestimmt und
umgesetzt, manchmal mehr und manchmal weniger erfolgreich, mit Höhen
und Tiefen. In langen Diskussionen, manchmal auch in
Streitgesprächen werden Wege beschritten, die nicht einfach nur von
einer Seite vorgegeben, sondern erarbeitet werden und Arbeit auf
beiden Seiten abverlangen. Selbstvertrauen wird gestärkt.
Der Prozess dauert an, er funktioniert gut, da der gegenseitige
Respekt voreinander in den Vordergrund gestellt wurde; niemand will
mehr den anderen „umkrempeln“ oder „auf Linie bringen“.
Die Vernunft im Umgang miteinander hat eingesetzt. Schwer fällts
manchmal in emotionsgeladenen Situationen, dem Rumänen und dem
Deutschen!
Nicht jeder ist mitgegangen.
Aber es klappt und eröffnet ungeahnte Perspektiven. Vertrauen
wird aufgebaut und gefestigt. Im Vertrauen entsteht Kreativität; die
Verständigung wächst trotz Sprachbarrieren. Die Erfahrenen wissen,
was die anderen denken und fühlen, wie sie „ticken“, und die
Deutschen ticken ja manchmal besonders exakt, was bei den Rumänen
nicht immer, aber immer öfter mit schmunzelndem Erstaunen zur
Kenntnis genommen wird. Rollenwechsel! Das Unbehagen, sich dauernd
in der Rolle des „Almosenempfängers“ zu sehen, weicht der Sympathie
und dem Interesse für den anderen, in Rumänien jetzt schon in der
zweiten Generation. Das Wort „ajutor“ kommt in der
partnerschaftlichen Zusammenarbeit nicht mehr vor.
Die „Prietenie“ rückt in den Vordergrund, erfasst die meisten der
Übriggebliebenen; ein wesentlich stärkeres Fundament als der „Robin
Hood-Gedanke“ und die „großzügige Bonbon-Verteilmentalität“.
Eine Basis entsteht für den Überbau, den hehren Gedanken der
Völkerverständigung, das Interesse an dem Gegenüber, dem Land, den
Leuten, den Gemeinsamkeiten, den Unterschieden; es entwickelt sich
der Blick für die Vielfalt und die Vielfältigkeit des Potentials der
Menschen, die in unterschiedlichen Systemen groß geworden sind und
sich auf den spannenden Weg machen, den anderen zu „entdecken“, ohne ihn „verbessern“ zu wollen.
Die Neugierigen lade ich ein, mit Pro Romania auf diese
Entdeckungstour zu gehen, die nächsten 20 Jahre bieten mit
Sicherheit viel Interessantes und Erlebenswertes.
Ein Phänomen wird dabei bestimmt den neuen Entdeckern ins Auge
springen:
In Rumänien sind die Mauern krumm gemauert, in Deutschland
überaus exakt und gerade!!
Ansonsten überwiegen mittlerweile die Gemeinsamkeiten, zumindest
die gemeinsamen Interessen und Wertvorstellungen. Und damit kann man
doch leben, oder??
Feiern wir unser 20 jähriges Jubiläum in gebührender Form. Wir
haben allen Grund dazu.
Euer Werner
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