Ich stehe mit meinem 125-er Roller, auf den ich sehr stolz bin, mit Evelyn hinten drauf, inmitten einer riesigen Schafherde zwischen Reichesdorf und Bierthälm, eingekesselt von hunderten Schafen, einigen Hunden, die uns von unten herauf mit treuen und traurigen Augen betrachten, zottelig das Fell, aber freundlich der Blick. Der Schäfer fuchtelt mit seinem Stock in der Luft herum, gibt Pfeiftöne von sich, auf die Schafe und Hunde gleichermaßen reagieren. Als sich die Traube aufgelöst hat, ruft er uns zu: „Doamne ajuta, numai bine“. „La multi ani“ erwidern wir und düsen ab nach Reichesdorf zu Toni auf die „Curtea Richvini“, die wir ganz allein für uns haben.
Die Welt bei Petra und Mada auf der Hochzeit in Otelu Rosu ist eine andere. Festtagsstimmung, Festlichkeit der Extraklasse, Abendkleider, jede Menge Make-up und falsche Wimpern, Fingernägel a la Naomi Campbell und Claudia Schiffer und Stimmung und Musik ohne Ende. Das Brautpaar stolz und schön und voller Pracht, elegant und charmant die Gäste, freundlich und zuvorkommend, küssend aus der Nähe und nickend aus der Distanz.
Einige kennen uns.
Mihaela Stan und ihre Band heizen ein, voll Power, in einer Lautstärke, die jegliche Unterhaltung ad absurdum führt. Aber es kann sowieso niemand an seinem Platz bleiben; die Energiebündel von der Musikband animieren das Publikum zu tanzen, zu tanzen, zu tanzen, die ganze Nacht bis in den frühen Morgen, ohrenbetäubend, voller Temperament und unaufhörlich, ohne Pause, ein Kraftakt für die Musiker und die Gäste gleichermaßen. Rumänische Hochzeiten sind anders als unsere. Der Schäfer aus Reichesdorf passt hier nicht hin.
Als wir gehen gegen drei gehts noch weiter bis um sechs, dann ist plötzlich Totenstille im Hotel, und als wir aufstehen gegen zehn sind wir allein und der Ausgang ist verriegelt. Wir müssen den Notausgang erst mal finden. Es wird uns mulmig. Wir finden ihn nach 50 Minuten. Er ist mit Gipskartonplatten zugestellt. Egal, wir verschwinden.
„Multo mesc, drag Dana“, dass du uns dein Auto gegeben hast, um von Alios nach Otelu Rosu zu kommen, für Dana eine Selbstverständlichkeit. „Sanatate si doamne ajuta“!
Der Privatcamp im Alcarzentrum ist super, mitten in einem Blumenmeer, das Rodica Cornea gezaubert hat, eine unglaubliche Idylle, Balsam für die Seele. Im Geschäft hingegen herrscht reges Treiben, es wird verkauft. Immer sind Leute da. Unser „Centru de caritate“, eine Institution in Alios, die nur schwer wegzudenken ist. Sie gehört dazu wie branza zum Schaf.
Wir müssen essen bei Brutus und Cornella, sonst kommt nichts in Frage, und schlafen auch, Privatcamp hin oder her.
Heute wird geschlachtet, die ganze Familie ist da; Dan und Adriana, Andrada und Andrei aus Temesvar, schon früh gehts los. Der Brutus hat ein Schwein mit fernöstlichem Charakter, ein Minischwein aus China, dessen Fleisch kein Cholesterin hat, sagt er. Nach kurzer Zeit liegt es portioniert auf dem Tisch, für jedes Familienmitglied seinen Teil, frisch eingepackt, zum Mitnehmen bereit.
Dann hat er noch eins, ein männliches Ferkel.
„Hol mer Eier runter und fertig“ sagt Brutus.
Der Gelz kommt, er ist Tierarzt. Das Schwein hat keine Chance. Es wird gefesselt und auf den Rücken gelegt. Auf meine Frage, ob denn keine Betäubungsspritze gesetzt wird, meint der Gelz, dass ich zu viel im Internet unterwegs bin und zu wenig in der wirklichen Welt. Dana meint: „Jetzt kommt gleich großer Krawall“. Und tatsächlich. Ich denke, sie hätten es besser noch geknebelt. Und plötzlich möchte ich kein cholesterinfreies Fleisch mehr, sondern hab nur noch Lust auf frische Paprika und Tomaten.
Aber das dauert nur einen Tag. Das Schweinchen frisst wieder wie ein Scheunendrescher…
Chisnidoara, Michelsdorf heißt das kleine Sachsendorf bei Sibiu, Hermannstadt. Schon ein wenig in den Bergen betreibt hier ein Deutscher einen richtigen Campingplatz, prima gelegen mit einem wunderbaren Blick über Michelsdorf. Und es sind Wohnmobile da. Und eine Gruppe Jugendlicher aus Holland, die eine Schule in einem Romadorf sanieren, freiwillig in einer Ferienfreizeit, voller Idealismus, so, wie unsere Helfer in den 90-iger Jahren.
Ich staune. Den ganzen Tag sind sie bei der Arbeit, abends auf dem Platz, gemeinsam singend bei Gitarrenklängen.
Gibts das wirklich noch? Ich kanns kaum glauben im Zeitalter des Smartphones, wo „tippen“ doch so „in“ ist. Es sind Holländer.
Mit meinem 125-er Roller fahren wir in die Berge hinter Michelsdorf bis nach Paltinis, prima geht der.
Dann sehe ich ein Schild „Gura Raului“. Wir fahren hin zur pensiune „Hanzu“. Familie Hanzu ist hin und weg wegen der Überraschung, Herr Hanzu natürlich auch wegen des Rollers. Sie bringen Kaffee und Kuchen.
„Doamne ajuta, numai bine“. Wir kommen wieder mit einer Gruppe.
Die Toni aus Holland ist in der „flower power“ Zeit in den 68 igern in Reichesdorf hängen geblieben, erzählt mir der Otto. Sie hat einen Rumänen geheiratet. Jetzt betreibt sie den Minicamp „Curtea Richvini“ in Reichesdorf. Wir haben den ganz für uns allein. Dusche, Toilette, Waschmaschine ganz für uns allein in einem riesigen Hof eines alten Sachsenhauses. Tor auf, Tor zu, andere Welt!
Vor dem Tor sind direkt die kleine Kneipe und der Dorfladen. Das gesamte Dorfleben spielt sich hier ab. Schon morgens sitzen sie zusammen: Rumänen, Zigeuner, einige Gäste und Martin, der andere Holländer, der alte Möbel restauriert und sich in Richis ein Haus gekauft hat. Und der Meggi aus Saubach würde auch hier sitzen, aber er ist zur Zeit in Deutschland wegen eines Wehwehchens.
„Hier fährt die ganze Welt vorbei“ sagt Martin. Die alte zahnlose Zigeunerin, die jeden Morgen unseren Waschraum sauber macht, strahlt übers ganze Gesicht. Sie scheint hier alles zu regeln für Toni, denn die ist zur Zeit auf Urlaub in Holland. Der Storch beobachtet die Szenerie von oben.
Ich denke an die falschen Fingernägel und Wimpern an Petras Hochzeit und wie sie klimpern.
Da gibts ein Dörfchen, das heißt Almen (Alma Vie) mit einer wunderbaren Kirchenburg und einem „Eminescu trust“. Dieser wird auch von Prinz Charles, dem ewigen Prinzen aus England gesponsert, weil er Siebenbürgen so liebt. Der „trust“ kauft Häuser die „folling down“, sagt mir die Amerikanerin, die in Almen wohnt, renoviert sie und richtet sie als „guesthouses“ her. „You help the people, if you rent a house for holydays“, sagt sie uns in breitestem amerikanisch.
Aber wir sind diesmal mit dem Wohnmobil da.
Dann kommt Alex aus Almen. Er hat uns schon gesehen, als wir mit dem Roller in Almen eingefahren sind.
„You can stay in my courtyard“. Nix soll es kosten. Ich bin jetzt wirklich sprachlos, kann ihm aber noch erklären, dass wir in Richis bei Toni sind. „Ah“ sagt er, „doamna ajuta“, dann beim nächsten Mal.
Der Ioan (Nellu) aus Reichesdorf hat uns das auch schon angeboten, in seinem Hof zu stehen, mit dem Wohnmobil, sein Bad zu nutzen, und Strom hat er auch. Sie würden sich freuen. Seine Tochter ist vor drei Jahren in Medias ermordet worden, von einem Geisteskranken.
Auch in Malmkrog gibt es einen „Eminescu trust“ und auch in Viscri und noch in vielen anderen Orten in diesem wunderbaren siebenbürgischen Land mit seinen überaus freundlichen und liebenswerten Menschen.
„Doamne ajuta“
Der Otto ist krank, aber voller Hoffnung, dass er ein zweites Mal seine Krankheit besiegt, wie schon einmal vor 20 Jahren. Sein Innenhof steht mir zur Verfügung, inclusive Bad und Toilette, ganz allein für uns, niemand da sonst, außer dem Ungarn, der kleine Reparaturarbeiten in der Pension macht für den Sommer, wenn Gäste kommen.
Er freut sich über ein Dosenbier mit uns am Abend.
„Es ist Vieles anders geworden“, sagt Otto. „Man findet kaum noch Leute, die für einen arbeiten“.
Sachsenzeit – Vergangenheit!
Nur noch ein paar in Bierthälm. Darunter Ottos Schwester Gerda, die in Deutschland 17 Jahre lang Lehrerin an einer Walldorfschule war und jetzt ihre Rente in Bierthälm verlebt. Haus gekauft – renoviert mit wunderbarem Blick auf die ehemaligen Weinberge.
Oder Hermann und Hilde. Sie sind aber nur im Sommer da, beide in Rente. Im Winter wohnen sie in Bayern. Sie haben noch ein zweites Haus in Bierthälm, direkt an der Kirchenburg. Das wollen sie verkaufen. Aber bis jetzt sind sie es noch nicht los geworden. Die Rumänen haben kein Geld, und so können wir es mieten, wenn wir Urlaub machen wollen, wann immer wir wollen. Das ganze Haus mit Garten, Bad und Klo und warmem Wasser und „Herz, was begehrscht de“.
In Probstdorf gehts nicht mehr voran. Alles dicht, so schade!
Unsere Zeit geht langsam zu Ende. Es kommen noch Florina und Otto zum Abschied am Morgen. Florina hat sich frei genommen und fährt heut mit Otto nach Sibiu zum Arzt wegen seiner Nachuntersuchung.
Sie ist begeistert von unserem alten Wohnmobil, mehr noch als vom Roller, sieht aus wie das blühende Leben und gibt uns mit auf den Weg: „Doamne ajuta, numai bine“,
Wir treffen uns im September in der Borrwiese 5.
Und so verlassen wir Bierthälm in Richtung Sibiu zur Autobahn. „Fahrt über Zlatna, dort seht ihr immer den Fagarasch im Hintergrund, knurrt Otto, der ein wenig traurig dreinschaut in seinen viel zu großen Kleidern, denn 50 Kilo sind weg.
Ich fahre über Zlatna, von den Straßen hat Otto nichts gesagt!
Mit dem Wohnmobil und dem Roller hinten drauf sind wir die Attraktion für Jung und Alt. Es wird gewunken und gelacht und in Nocrich stellt sich eine Romafamilie akkurat zur „Poze“.
„Puzin bonbons pentru copii, sie zeigen ihre traditionelle Kleidung mit Stolz, es ist Feiertag in Rumänien, Fronleichnam.
Nach dem Fotoshooting rufen und winken sie „doamne ajuta, numai bine“ und zahlreiche Handküsse werden uns nachgeworfen.
Über die Autobahn gehts schnell, nicht wie früher mal von Alios nach Bierthälm 10 Stunden.
Wir fahren wieder ins Privatcamp „Centru de caritate“ in Alios. Aber schlafen dürfen wir dort nicht, trotz Baustelle bei Brutus. Es wird frisch gestrichen. Dana räumt ihr Zimmer für uns und schläft in der Baustelle zwischen Farben, abgestellten Möbeln und allerlei Handwerkszeug. Ehrensache!!
Darius, der Nachbarbub, wartet schon am frühen Morgen bei Brutus im Hof unterm Wein, dass ich aufstehe. Er hat den Helm von Evelyn schon aufgesetzt und will unbedingt nochmal eine Spritztour mit dem Roller über die neu geteerten Straßen von Alios machen.
Schade – der Roller ist schon aufmontiert.
Ich verspreche ihm: wir kommen wieder, nächstes Mal. Dann machen wir eine Spritztour bis nach Masloc. Er strahlt über das ganze Gesicht mit einem breiten Grinsen, von einem Ohr zum anderen.
PS:
Dem „Bikerclub“ gehört auch schon Julia an, die zweitjünste Misca, Stefan ist noch zu klein. Aber Raj und Roxi wollen, dass er auch schnell reinkommt.
Der Dan hat mir erzählt, dass, wenn er in Rente geht, ihm sieben Jahre Beitragszeiten aus seiner Mitarbeiterzeit bei uns angerechnet werden. Wir sind ein Teil seines Lebens, sagt er. Spätfolgen!!
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