Pro Romania e.V.
Rundbrief im Juli 2021

Das "falling-down-syndrom"

Autor: Werner Becker

Die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben haben ihre Häuser zurück gelassen (die konnten sie ja auch schlecht mitnehmen auf ihrer "stepperlichen" Flucht in den goldenen Westen, das ferne Land jenseits des "Eisernen Vorhangs", wo Milch und Honig fließen. Das war Anfang der 90iger Jahre des letzten Jahrtausends. Viele haben es sich anders überlegt, weil Milch und Honig doch nicht flossen, und haben wieder "Besitz ergriffen" von ihrem Eigentum, meist mühsam erbaut in schlimmen Zeiten der kommunistischen Diktatur nach dem großen Krieg oder auch schon vorher.

Schlenderst du heute über die Dörfer in Transsylvanien oder im Banat siehst du sie auf Schritt und Tritt, die Häuser der Nichtzurückgekehrten. Sie sind vom "falling-down-syndrom" befallen. Es beschleicht dich ein Gefühl der Ohnmacht, der Trauer. Endzeitstimmung schlägt schwer aufs Gemüt.

Aber manchmal triffst du auch die Amerikanerin vom "Eminescu trust" (so geschehen in Almen nähe Biertan). Sie erzählt dir dann voller Inbrunst und Begeisterung und mit strahlenden Augen von den Bemühungen des "Eminescu trust", die vergangenen Zeiten nicht einfach vergangen sein zu lassen, sondern sie wiederzubeleben, die Kultur zurückzuholen, denn 1000 Jahre Geschichte und Kultur dürfen nicht sterben in wenigen Jahrzehnten. Sie zeigt dir dann die Projekte der Rettung vor dem "falling down", in die du als Tourist ein paar Tage oder Wochen einziehen und einen Urlaub machen kannst, in dem du dich fühlen darfst wie ein Siebenbürger Sachse oder ein Banater Schwabe im original renovierten Haus im ursprünglichen Stil.
Endzeitstimmung und Depression weichen augenblicklich einem Gefühl der Bewunderung und des Respekts vor solch honorigen und wertvollen Projekten und Bestrebungen.

Nun ist das "falling-down-syndrom" in Rumänien aber nicht nur bei den zurückgelassenen Häusern der "deutschen Migranten" zu beobachten. Es begegnet dir überall dort, wo offensichtlich Lethargie und Schwermut aber auch offensichtliche Korruption und Misswirtschaft die Oberhand gewinnen, wo Gelder (aus der EU) nicht dorthin fließen, wo sie hin fließen sollen. Die Städte erstrahlen in neuem Glanz, die Dörfer hingegen glänzen oftmals nicht so hell.
Und die Gebäude, für die es im Moment gerade angeblich keine Verwendung gibt, folgen in rasantem Tempo besagtem Syndrom.

Dies ist auch in Alios anschaulich zu beobachten.

Nun unterliegt unser Alcarzentrum im Augenblick noch einer sinnvollen Nutzung. Solange besteht keine Gefahr, dem "falling-down-syndrom" ausgesetzt zu sein. Was aber, wenn die Ära "Second Hand" sich ihrem Ende zuneigt? Haben die Alioser genügend Phantasie und Energie, unser aller "Centru de caritate" einer sinnvollen, zukunftsweisenden und der Dorfbevölkerung dienenden Nutzung zuzuführen oder schleicht sich langsam aber sicher dieses zersetzende Syndrom ein und übernimmt die Oberhand?
Müssen die Amerikanerinnen vom "Eminescu trust" mit ihren strahlenden Augen kommen und Energie versprühend inspirieren oder finden sich kreative Köpfe in der näheren Umgebung? Werden eventuell vorhandene Ideen und Visionen aufgegriffen und konstruktiv diskutiert oder wartet man lieber bis die "alten Partner" kommen und sagen, was man machen könnte?

Ich glaube, Letzteres kann nicht die Option sein.

Die alten Partner sind zwar Partner, aber leider sind sie auch in ihrer Mehrzahl alt. Sie haben 30 Jahre geschafft, gewirkt, Maßnahmen entworfen und umgesetzt, erfolgreich, weniger erfolgreich, aber immer auf der Suche nach neuen und für die Menschen aus Alios vorteilhaften Projekten. Das ist eine lange Zeit, mehr als eine ganze Generation! Man wird sich lange daran erinnern; die Älteren werden es den Jüngeren erzählen. "Pro Romania und Alcar" wird ein Begriff sein und sicher bleiben in Alios. Unser Alcarzentrum ist in dieser Hinsicht sozusagen ein in Stein gegossenes Denkmal.
Unsere Partner von Alcar stehen hier in der Pflicht und in der Verantwortung. Strahlende Augen, Begeisterung und Unternehmergeist können da durchaus gute Ratgeber sein, allemal eher als andauernde Zurückhaltung und Sprachlosigkeit.

Es wäre schade, würde unser "Centru de caritate" in absehbarer Zeit nur noch eine Erinnerungsstätte bleiben an die etwas verrückten und idealistischen "Nemski", die da Anfang der 90iger Jahre des letzten Jahrtausends kurz nach dem Niedergang des Ostblocks und des Eisernen Vorhangs kolonnenweise, meist langhaarig und ungewaschen, ostwärts in neue Welten segelten, so wie die Wikinger im frühen Mittelalter nur mit anderen Absichten und auf dem Landweg, stunden und manchmal tagelang an hochmilitarisierten Grenzen zitternd und bibbernd ausharrend mit meist schrottreifen (wenn nicht vor der Reise, dann doch danach) Mikrobussen voll beladen mit Plastiktüten voller "haine" und Schokolade, manchmal auch Dosenbier, um dort dann 30 Jahre lang Fuß zu fassen.

Niemand hätte das geglaubt!

Es war schon eine verrückte Zeit. Aber es herrschte Aufbruchstimmung; der Zeitgeist zeigte in Richtung Unternehmungslust und Abenteuer, Begeisterung und Weltoffenheit, Solidarität und Weitblick. Raus aus dem Muff des Alltäglichen und Grenzen überwinden, neue Welten und unbekannte Menschen kennen lernen.

Unser Alcarzentrum erinnert an all das; es lebt diese faszinierende Geschichte über Generationen. Deshalb wäre auch eine Art der Nutzung (wenigstens eines Raumes) eine Dauerausstellung, chronologisch aufgebaut anhand von Bild-und Filmmaterial, ein Dokumentationszentrum des großen Projekts "Pro Romania si Alcar" Und nicht nur für die Alioser, nein gerade auch für die Jugend aus der Umgebung von Alios, für die Stipendiaten, für alle Besucher unseres kulturellen Mittelpunktes in Alios.
Ein Ansporn - ein pädagogisches Projekt denn "Von Nichts kommt Nichts"!

Alles besser als "falling down"!

Euer Werner


Nach oben zur Übersicht der Rundbriefe